Einführung in die Gifhorner Ausstellung von Sasssigurd

Schon allein dieser Künstlername gibt einen Hinweis auf das, was diesen Künstler ausmacht: Er liebt es, Dinge auf den Kopf zu stellen. Indem er seinen Namen umgedreht zusammensetzt, spielt er gleichzeitig mit der Modernisierung der Sprache. Gemäß den geltenden Rechtschreibregeln verschwindet das ß, das ohnehin der einzige Buchstabe ist, den es ausschließlich in der deutschen Sprache gibt. Gleichzeitig vermeidet er das anrüchige Doppel-S und konfrontiert uns mit dem Dreifach-S, das jedem der vor dem Jahr 2002 geboren wurde, immer noch unangenehm in den Augen brennt.

Die Eingangsfrage die Sigurd Saß sich im Vorwort seines Katalogs stellt, hat mir besonders gefallen:

Darf ein Maler angesichts der multimedialen Bilderflut noch neue Bilder, auf die Weltbringen"? Er antwortet: "Ja, aber der Künstler sollte nicht zur Verwirrung beitragen, sondern zur Klärung und Konzentration." Es würde im Prinzip ein einziges Werk reichen, das diese Aufgabe erfüllt.

Diesen Selbstanspruch löst er in dieser Ausstellung nicht ein. Er zeigt sogar gleich zwei Serien: Die "Mickey-Mouse-Serie" im vorderen und die Mallorca-Suite im hinteren Teil der Ausstellung. Eigentlich hat die Mickey-Mouse-Serie den Titel "Form ist Leere - Leere ist Form". Was hat Mickey Mouse mit der Leere zu tun?

Das Thema ist in diesem Fall zunächst nicht das Objekt selbst, das Bildmotiv, sondern der Raum in den Zwischenräumen. Die Leere eben (die im philosophischen wie im naturwissenschaftlichen Sinne natürlich gar nicht leer ist). Auf die Leere zwischen den Dingen zu blicken schärft gleichzeitig den Blick auf das Objekt. Die Leere, und damit kommen wir zu dem Ursprung zurück: als Gegensatz zu einer Überfrachtung mit Bildern und Inhalten. Innehalten...meditieren. Und was hat das jetzt mit der Mickey Mouse zu tun?

"Der Traum der kleinen Katze" bringt es auf den Punkt: Nichts ist entspannter als eine schlafende Katze in der Sonne. Aber in diese Welt der blauen Ruhe bricht die Mickey Mouse ein wie ein böser, ewig grinsender Clown. ln dieser Maus verbirgt sich nichts Nährendes mehr, sie ist selbst nur noch der Rattenfänger, der die Kinder entführt und die Katze hungrig zurücklässt. Dies ist das Risiko bei der Leere: wir können uns nicht vor den Bildern schützen, die in sie einbrechen. Das weiß jeder, der einmal in der Stille von einem Schlager als Ohrwurm verfolgt wurde. Sigurd Sass thematisiert also die Denaturierung der Zivilisation, kritisiert mit einem Augenzwinkern und gleichzeitig ehrlicher Empörung die Unkultur der bunten Plastikwelt.

Dem gegenüber stellt er die Mallorca-Suite. Er bescheinigt sich selbst ein geradezu archaisches Gefühl der Verbundenheit mit Vegetation und Natur. Die mediterrane Natur mit ihrem Kontrast von üppigen Früchten und Kargheiten kommt ihm hier eher entgegen als die hiesige. Die Bilder der Mallorca-Suite sind nur teilweise handgemalt. Die Untergründe sind zum Teil gewonnen aus digital hochgefilterten Orangenbaum-Fotos. Thema ist hier die doppelte Abstraktion. Was ist die Essenz des Bildes?

Gleichungen aus dem Gebiet der Mengenlehre versuchen die Analytik der Bilder auf den Punkt zu bringen. Manche sind simple Farblehre-Lektionen. Gelb plus Rot ergibt Orange. Die Farbe Orange ist die Essenz der Orange. Alles andere ist überflüssig und verschwindet, aufgehoben durch sich selbst, in dem digitalen Wirrspiel. Bei den "Weisheitsampeln" kommt die Lichtfarbmischung und damit die lmmaterialität von Farbe ins Spiel: am Ende aller Farbmischungen entsteht Weiß. Und damit wieder die Leere.

Andere Zeichen sind konkret-abstrakter. Die Honigbiene vor mallorquinischer Flagge (die aus Rot-Gelben Streifen besteht... Rot+Gelb=Orange) ist wie ein Warnschild zu verstehen: Ohne dieses kleine lnsekt (das auf Mallorca wegen Pestizideinsatz und Genmanipulation stark zurückgegangen ist) keine Orangen mehr...oder: die Essenz der Orange steckt in dem Insekt, sie befruchtet und so erst möglich macht.

ln diesem,Sinne: begeben Sie sich auf den Weg der Abstraktion. Denn der Weg, auch wenn er lang erscheint, ist ebenfalls keine absolute Größe. Jeder empfindet ihn unterschiedlich. Einen Weg durch Mallorca in seiner Widersprüchlichkeit beschreibt der Künstler selbst in einem kleinen Text, den er abschließend vorlesen möchte.

Charlotte Dreschke ist als Kunstwissenschaftlerin Leiterin der Kreisvolkshochschule in Gifhorn 2013